Rübezahl nach dem Maler Moritz von Schwind |
Wie Rübezahl zu seinem Namen kam |
Lange bevor die Menschen sich überall breit machten, herrschten die alten Götter und Naturgeister über die Erde. Im schlesischen Riesengebirge war das Reich eines Erdgeistes, man nannte sie später auch Gnome, der recht mächtig war. Zwar erstreckte sich sein Herrschaftsgebiet hauptsächlich unter der Erde, doch oberhalb war auch das Gebiet des Gebirges sein Zugang zur Oberwelt. Dieser Gnom, damals noch ohne Namen, erfreute sich an den Schätzen in seinen Bergen, viel Gold, Silber und Edelsteine, viele kleinere Erdgeister und Zwerge waren in seinem Reich tätig. Oft machte er einen Ausflug an die Oberwelt und ließ seinen Blick über das Riesengebirge schweifen. Auch liebte er es, durch die Wälder zu wandern, Tiere zu jagen oder auch nur zu erschrecken. Dieser Gnom war vielfältig in seiner Art, mal grausam und böse, dann wieder herzensgut und mild, weise und doch kindisch, herrsch- und rachsüchtig und dann wieder sanftmütig. Das Tierjagen oder das Wandern wurde ihm mit der Zeit doch zu eintönig und so blieb er lange Zeit in seinem unterirdischen Reich.
Doch gelüstete es ihn mal wieder nach
Abwechslung und so machte er erneut einen Ausflug nach oben und war vollkommen
überrascht. Manche Wälder waren gerodet, kleine Häuser standen hier und dort auf einem
Haufen, Felder mit guter Ernte waren angelegt worden. Das Menschengeschlecht hatte sich in
seinem Gebiet breit gemacht. Das war nun eine ganz große Neuigkeit für den Gnom und,
obwohl man ihn als den Herrscher in seinem Land nicht gefragt hatte, duldete er die
Menschen wohlwollend. Brachten sie doch Abwechslung und vielleicht auch neue Erfahrungen,
denn neugierig war der Gnom schon.
Um die Menschen besser kennen zu lernen,
verwandelte er sich in einen kräftigen Knecht und ging zu einem Bauern in Lohn. Dieser
hatte mit ihm einen Glücksgriff getan, denn alles, was der Knecht in die Hand nahm,
gedieh zum Besten. Doch der Bauer war ein Geizhals und verpraßte vieles, so daß der Gnom
sich von ihm abwandte. Er versuchte dann sein Glück bei einem Schafhalter als Knecht.
Auch hier gab er sich große Mühe, die Schafe fanden unter seiner Leitung das beste
Futter, keines stürzte mehr von den Felsen, kein wildes Tier konnte eines reißen.
Doch auch dieser Bauer war ein böser
Mensch. Um den Knecht um den Hirtenlohn zu prellen, stahl er selbst in der Nacht den
besten Zuchtbock und beschuldigte dann den Gnom des Diebstahls. Dieser nahm auch das hin
und verschwand. Doch nur um noch einen dritten Versuch zu wagen. Er ließ sich von einem
Richter einstellen und war sein bester Gehilfe. Aber, ja, aber auch dieser Richter war
kein guter Mensch, er beugte die Gesetze und richtete zu seinen eigenen Gunsten. Dies
wollte der Gnom nicht unterstützen, lehnte sich dagegen auf und wurde sogar selber ins
Gefängnis geworfen. Doch das war für ihn kein Problem, als Geist konnte er leicht das
Schlüsselloch zum Ausweg nehmen.
Dergestalt über die Boshaftigkeit der
Menschen belehrt kehrte er enttäuscht in die Einsamkeit seiner Berggipfel zurück. Doch
die Neugier trieb ihn bald wieder in die Nähe der Dörfer. Wie er so durch den Wald ging,
hörte er lustiges Lachen und versteckt hinter den Büschen fand er eine Jungfrauenschar,
die Kräuter sammelte und sich scherzend unterhielt. Und dann, an einem natürlichen
Wasserbecken, von einem kleinen Wasserfall aus dem Fels gewaschen, entkleidete sich erst
eine, dann ihre Gefährtinnen und nahmen ein Bad.
Gar anmutig war die Schönheit der jungen
Frauen und der Gnom bekam seltsame Gefühle, die er nicht zu deuten wußte. Um näher zu
kommen, verwandelte er sich in einen Raben und flog auf die Spitze eines Baumes direkt am
Wasserfall. Aber als Rabe fühlte er ein wenig anders und so war ihm ein Waldmäusenest
viel interessanter als die junge Maid. Der Gnom merkte, daß er einen Fehler begangen
hatte, flug zurück ins Gebüsch und verwandelte sich in einen jungen Mann. Das hätte er
nicht tun dürfen, denn nun erkannte er, was ihn so seltsam bewegte. Er entbrannte in
Liebe und wünschte sich ein Sterblicher zu sein.
Die Frauenschar zog dann wieder von
dannen und er war innerlich zerrissen vor lauter Gefühl. Wie sollte er sich der Schönen
nähern ohne sie zu erschrecken? Und dann kam ihm ein Gedanke.
Als einige Tage später die Mädchen, es
handelte sich um eine Königstochter namens Emma und ihr Gefolge, wieder zu dem im Wald
verborgenen Badeplatz kamen, da trauten sie ihren Augen kaum. Das vom Wasserfall
ausgewaschene einfache Loch war zu einem Becken mit Marmorrand geworden. Kleine Säulen
schauten aus der Felswand, Blumengirlanden und Rankgewächse bildeten einen anmutigen
Anblick und der steinerne Grund des Beckens war mit silbernen Kieseln belegt.
Erst zögerte die Maid, dann packte sie
die Lust und sie entschied, das neue Bad zu nutzen. So schön waren nicht mal die
Baderäume im heimischen Schloß. Sie stieg mit frohem Sinn ins Wasser, doch oh je, kaum
hatte sie die silbernen Kiesel am Grund betreten, als dieser verschwand und sie in die
Tiefe zog. Ihre Hofdamen waren verzweifelt und wußten nicht was tun. Eine jedoch, ihre
beste Freundin, sprang auch ins Wasser um sie zu holen. Doch soviel sie auch versuchte,
nach der Prinzessin zu tauchen, es ging nicht. Wie ein Kork schwamm sie oben.
Es blieb den Mädchen nichts anderes
übrig, als weinend heim zu gehen. Unterwegs trafen sie den König, der gerade auf der
Jagd war. Sie erzählten ihm getreu, was geschehen und dieser ritt sofort zu dem
Badeplatz. Doch, oh Wunder, er war gerade so wie früher, ein einfaches Becken vom
Wasserfall in den Fels gewaschen. Keine Marmorsäulen oder Girlanden von Pflanzen. Der
König, ein gerechter und an die Götter glaubender Mann, ließ seinen Unmut nicht an den
Mädchen aus. Er schrieb das Vorkommnis dem Willen von Thor oder Odin zu und trauerte
nicht lange.
Emma hingegen wußte nicht wie ihr
geschah, als sie plötzlich versank. Um so größer war ihr Erstaunen, als sie in einer
großen prunkvollen Halle von einem schönen Jüngling begrüßt und dann durch herrliche
Gemächer geführt wurde. Der Gnom zeigte sich von seiner besten Seite und versuchte ihre
Liebe derart zu erringen. Was er jedoch nicht wußte, Emma hatte sich schon früher in
einen anderen verliebt und war deshalb abweisend.
Der Gnom versuchte mit vielen Dingen ihr
Herz zu erfreuen und ihr näher zu kommen, doch erfolglos. Da kam ihm ein Gedanke,
vielleicht fehlte ihr nur Gesellschaft. So ging er zu einem Rübenfeld, zog einen Korb
voller Rüben heraus und gab ihn seiner Angebeteten. Dazu ein silbernes Zauberstäbchen
mit dem Hinweis, wenn sie damit eine Rübe berühre, dann könne sie dieser die Gestalt
der Person geben, die sie gern als Begleiterin hätte.
Die Emma versuchte den Zauber und siehe
da, ihr erster Versuch ließ schon ihre liebste Gespielin aus der Rübe werden. Hei, das
war eine Freude. Ruck zuck, in kürzester Zeit stand ihr gesamter Hofstaat vor ihr und nun
lebte die Prinzessin auf. Es wurde gelacht, die schönen Kleider anprobiert, die
Edelsteine und Juwelen bewundert, die die eifrigen Diener des Gnom herbei geschafft
hatten. Und im Herzen des Gnoms wuchs die Hoffnung, die schöne Emma bald als sein eigen
zu sehen.
Doch nach einigen Tagen (oder Wochen?)
trat eine seltsame Wandlung ein. Die so hübschen und jungen Hofdamen wurden immer
runzliger, sie bekamen gelbe Gesichter und eines Tages sahen sie aus wie 100jährige alte
Weiber. Nur Emma war schön und jung wie vorher. Zur Rede gestellt, mußte der Gnom
bekennen, daß er zwar Zauberkräfte besäße, jedoch nicht Herr über die Zeit und damit
das Alter sei. Die Rüben waren halt ausgetrocknet und damit dem natürlichen Verfall
unterworfen. Und neue ließen sich nicht heranschaffen, soviel Emma auch bat und bettelte,
"oben" war gerade Winter und da wuchsen keine Rüben.
Die Maid wurde immer trübseliger zumal
sie auch an ihren Liebsten oft dachte. Dieser war schon seit Monaten auf der Suche nach
ihr mit seinem Gefolge und wurde auch immer leidvoller, je mehr er vergeblich suchte. Doch
auch der Gnom war nicht glücklich und machte alle Anstrengungen, die schönen Tage mit
dem frohen Sinn des Mädchens wieder aufleben zu lassen. Er legte sich selbst ein
Rübenfeld an und befahl einigen seiner Untergebenen, von unten den Boden zu heizen, damit
die Rüben trotz des strengen Winters wachsen könnte.
Sowie er die ersten ziehen konnte, gab er
sie der schönen Emma in der Hoffnung, diese wieder an sich binden zu können. Und er
versprach, wenn sie die seine werden würde, dann hätte es nie mehr einen Mangel an
Gespielinnen für sie. Emma hingegen hatte in der Zeit der Einsamkeit überlegt, wie sie
entfliehen könnte und auch eine Idee gehabt. Sie willigte zum Schein ein, wobei sie
jedoch die Bedingung stellte, daß das Rübenfeld groß genug und immer voll sein sollte.
Der Gnom war hoch erfreut, versprach es und eilte hinfort, diese Forderungen sicher zu
stellen.
Emma hingegen verwandelte die erste Rübe
in eine Biene und gab ihr den Auftrag, ihren Geliebten zu finden, ihm ins Ohr zu summen,
daß sie lebe und fliehen wolle. Doch kam war die Biene losgeflogen, als ein Vogel sie
verschlang. Nun versuchte Emma ihr Glück mit einem Grashüpfer, doch auch dieser wurde
unterwegs zur Beute eines Storches. Da kam ihr der Gedanke, es mit einer Elster zu
versuchen. Gesagt, getan, eine Rübe wurde zur Elster, bekam den gleichen Auftrag wie ihre
Vorgänger und gehorsam flog sie davon.
Sie fand auch wirklich den Geliebten
Emmas, der gerade eine Rast bei der Suche nach seiner Liebe eingelegt hatte. Kaum hatte
der Vogel den Namen Emma erwähnt, als der verzweifelte Mann schon nach einem Stein griff
um den vermeintlichen Spötter in der Luft zu töten. Doch zum Glück konnte er noch den
Wurf stoppen, als der Vogel die ersten Worte der Botschaft sagte. In drei Tagen, so die
Nachricht, solle er mit Roß und Männern an der Grenze des Gebirges warten, denn dorthin
wollte Emma fliehen. Außerhalb des Gebirges erlosch die Macht des Gnoms.
Währenddessen war der Gnom wieder bei
der Jungfrau und wollte das Ehebündnis mit ihr eingehen. Doch Emma erbat sich von ihm
noch einen Tag Bedenkzeit. Dieser wurde ihr zugestanden und am nächsten Morgen trat sie
reich geschmückt vor ihn hin. Doch bevor sie die seine werden wollte, erbat sie noch
einen letzten Beweis der Liebe, damit sie sicher sei, daß er auch später der liebevolle
Gemahl wäre. Der Gnom willigte ein und Emma befahl ihm, alle Rüben auf dem Feld zu
zählen. Diese wolle sie dann beleben und zu ihren Zeugen und Hochzeitsgästen machen.
Aber er dürfe sich nicht verzählen, sonst wäre die Bedingung nicht erfüllt.
Während der Gnom zum Rübenfeld eilte und
zu zählen begann, nahm die schlaue Emma die dickste und kräftigste Rübe und verwandelte
diese in ein Pferd. Mit diesem begann sie die Flucht. Unterdessen hatte der Gnom alle
Rüben gezählt und um wirklich sicher zu sein, wiederholte er die Zählung. Dabei stellte
er fest, einen Fehler gemacht zu haben. Also zählte er ein drittes Mal und wieder war die
Zahl nicht die gleiche. Erst nach langer Mühe stand die Menge aller Rüben fest, ganz
gleich welche Größe sie hatten.
Als der Gnom nun zu Emma zurück kehrte,
stellte er deren Verschwinden fest. Von der Ahnung getrieben, sie könnte geflohen sein,
eilte er auf den höchsten Gipfel und konnte sie gerade kurz vor der Grenze seines Reiches
sehen. Wutentbrannt schleuderte er einen Blitz hinter ihr her, aber just in dem Moment
überschritt sie die Linie und der Blitz zerschmetterte nur noch die Grenzeiche, die dort
stand. Ihr Geliebter aber fing sie im Fluge auf, denn beim Verlassen des Gnomenreiches
verwandelte sich ihr Roß sofort wieder in eine Rübe. Sie flohen dann beide in weite
Entfernung, wo ihr Liebster mit namens Ratibor eine Stadt baute, die es heute noch gibt.
Der Gnom jedoch tobte und es wurde noch
viel schlimmer, wenn er an die Plätze kam, wo er mit Emma gewesen war. Alle Erinnerungen
kam dann hoch und zu guter Letzt verfluchte er die Menschen und ließ den Palast und das
Rübenfeld verschwinden. Die Menschen jedoch behielten seine Geschichte in Erinnerung und
gaben ihm den Namen "Rübenzähler" kurz Rübezahl