Nordbayerischer Kurier Bayreuth

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Nordbayerische Nachrichten

Den Blick in die Zukunft gerichtet

Sudetendeutsche und Schlesier feierten 60. Jubiläum der Landsmannschaften  Den Blick in die Zukunft gerichtet

 

Die Vertreibung bleibt eine mit vielerlei Unrecht behaftete Tragödie, aber im Blick nach vorn offenbart sich die Brückenfunktion der Sudetendeutschen und Schlesier für die Entwicklung Europas. Bei der Jubiläumsfeier 60 Jahre Landsmannschaften der Sudetendeutschen und Schlesier im Altkreis Pegnitz und Stadt wurden beide Aspekte gewürdigt.

Die Vorsitzende der Sudetendeutschen, Margaretha Michel, konnte zahlreiche Gäste begrüßen. Viele waren eigens aus Hof, Weidenberg, Warmensteinach, Bayreuth und dem Fichtelgebirge gekommen.

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Die Frauen zeigten die Alltagstracht des Sudetenlands ebenso wie das pailettenverzierte Festtagsgewand. Egerländer, Karlsbader und Marienbader Trachten gab es zu bewundern. Die älteste Teilnehmerin mit über 90 Jahren war Inge Blasch aus Pegnitz, die Jüngsten ihre Enkeltöchter Frida (4) und Sigrid (5).

Abwechslungsreich waren die Stunden gestaltet, denn die Singgruppe der Sudetendeutschen Landsmannschaft unter der Leitung von Anna Müller bereicherte mit der Konzertina-Gruppe Pastyrik die Gedenkveranstaltung.


Bei deren Beiträgen griff auch Landrat Hermann Hübner in die Tasten seiner Konzertina.

Gegen Benesch-Dekrete

Kaplan Andreas Seliger, dessen Vater in Breslau geboren wurde, betonte, als Priester zu sprechen. »Nichts aus der Vergangenheit darf verwässert oder vergessen werden.« Margarethe Michel hob hervor, dass sie sich als »Brückenglieder« sehen. Weiter forderte sie, dass die menschenverachtenden Benesch-Dekrete fallen müssen, »die in einem modernen Europa nichts verloren haben«. Die bis heute umstrittenen Erlässe regelten 1945 den Entzug der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft und die Enteignung der deutschen wie der ungarischen Minderheiten.

Auch Landrat Hübner betonte in seiner Festansprache, dass die Unrechtsdekrete endlich der Vergangenheit angehören müssen. Hübner erinnerte an die Vertreibung: 32 Vertriebenentransporte mit jeweils 30 Güterwaggons hatten Bayreuth als Ziel. Der erste geordnete Flüchtlingszug kam aus Breslau und erreichte Pegnitz im Januar 1945. Durch das Lager am Bindlacher Berg wurden 300.000 Vertriebene und Flüchtlinge geschleust.

Einen Zusammenschluss der Flüchtlinge und Vertriebenen hatten die Amerikaner zunächst verboten, es waren nur Hilfsvereine erlaubt. Aus diesem Grund begann man gemeinsam zu singen und zu musizieren, 1946 kam so die Keimzelle der späteren Singgruppe der Sudetendeutschen Landsmannschaft zustand, denn »Musik verbindet«.

Die Landsleute in der neuen Heimat zu sammeln, war ein Gebot der Stunde, nicht nur um sich gegenseitig seelisch zu stützen und materiell zu helfen, sondern um den Vertriebenen ein Stück verlorener Heimat zu geben, um Tradition, Brauchtum und Kultur weiter zu pflegen und zu bewahren. Ohne die Sudetendeutsche Landsmannschaft gäbe es in Pegnitz beispielsweise keine Herz-Jesu-Kirche. Ebenso bereicherten die emsigen und fleißigen Menschen die Geschäftswelt, allein in Pegnitz gründeten sie 34 Betriebe, beispielsweise Teppichfabrik Walter Poser, Wäschefabrikation Horn, Kaufhaus Gebhardt, Bäckerei Rippl, Firma Huttarsch, Metzgerei Schmid, Apotheke Haberland und viele andere.

Die Eingliederung habe die kulturelle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Struktur der Region Bayreuth beeinflusst und stark verändert, denn es war die größte Wanderungs- und Aufbaubewegung in der Geschichte Deutschlands und ein wichtiger Schub für die Entwicklung Frankens.

Ohne Rachegedanken

Als großes Verdienst der Heimatvertriebenen nannte Hübner, dass sie »ihren Kindern und Enkeln nicht Hass oder den Wunsch nach Vergeltung eingepflanzt haben, sondern die Überzeugung und den Willen am Aufbau eines besseren Deutschlands und eines friedlich geeinten Europas« mitzuarbeiten: »Sie haben für Versöhnung und Verständigung mit Herzblut gearbeitet.«

Bürgermeister Manfred Thümmler erinnerte daran, dass sich die Einwohnerzahl von Pegnitz in den Jahren von 1945 von 4500 bis 1955 auf 8500 fast verdoppelt habe. »Diese Menschen haben Pegnitz neu entwickelt, Modernes und Traditionelles eingebracht, in kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht befruchtend gewirkt. Sie bekamen festen Boden unter den Füßen, die Kompetenz der Menschen sorgte für Entwicklung. Diese Menschen waren ein Gewinn für Pegnitz, das damals schon offen war und heute noch immer offen für die Welt ist.«

Thümmler verweist darauf, dass von KSB-Auszubildenden in der Berufsschule für Gießereitechnik eine Bronzetafel gefertigt wird. Sie soll an Deportation, Flucht und Vertreibung erinnern und den Vertriebenen für ihren Einsatz beim Wiederaufbau in Bayern danken. In Kürze werde diese Gedenktafel am Bahnhof in Bayreuth angebracht.

EVA BÖHM 18.4.2010 15:00 MEZ