Mariasorg

ein Schwarzbuch der Vergangenheit

ein Beitrag von Pavel Beran


Im Buch der ehemaligen politischen Gefangenen Zbynek Ludvík und Václav Bureš "Schwarzbuch der Vergangenheit", fand ich einen Bericht, der das Leben im Konzentrationslager Maria Sorg beschreibt. Anbei ein übersetzter Auszug.


KZ Maria Sorg - Uran war Verdammnis unseres Landes

Als es Ende 1948 den Kommunisten gelang, die Macht im Land zu übernehmen, wurden die Gefangenheitslager in der Umgebung von Joachimsthal in Konzentrationslager umgewandelt. Einer der Ersten war das Lager in Maria Sorg. Auch hier herrschte Angst vor der ungebündelten und unkontrollierten Macht derer, die damit nicht umzugehen vermochten. Unrecht wurde zum Staatsprinzip, denunzieren wurde zum Dienst am Staat. Uran zu dessen Verdammnis.

Dieses Lager unterschied sich nicht groß von anderen. Es ähnelte denen mit Namen: Gleichheit, Einigkeit, Bruderschaft, Lager des L, Vykmanov, Nikolaj, Barbara, Elias, Prokop, Ležnice, Lager 12, Svatopluk, Armee und Bytíz. Heute kennt man sie unter den Namen Joachimsthals Hölle.

Der politische Gefangene wurde hierher verfrachtet, egal ob Bauer, Student, Professor, Soldat oder Priester. Von allen wurde verlangt, eine Aufgabe zu übernehmen, die bisher erfahrene Bergleute erfüllten. Nichterfüllen der Norm bedeutete Kürzung Nahrungsration, die so schon karg bemessen war und zu Hunger unter den Gefangenen führte. Entkräftend waren auch mehrstündige Dienste, dreimal täglich, abgesehen von denen in den Stollen. Am Sonntag musste man zweimal antreten. Und das so lange bis die Norm erfüllt war. Im Sommer wie auch im Winter, an dem in der Meereshöhe von 796 Metern bis zu Minus 20 Grad Celsius herrschten.

Unter der Arbeitskleidung trugen die Arbeiter nur eine Stoffunterhose und Fußlappen. So wurden sie zum Schacht Eva geführt. Täglich hin und zurück, in Fünferreihen, so aneinadergedrängt, dass die Brust des Hintermannes den Rücken des Vordermannes berührte. Diese so gebildete Formation wurde mit einem Seil umspannt, festgezurrt und mit einem Hängeschloss versehen. So konnte niemand der Versuchung unterliegen, außerhalb des Lagers zu flüchten. Diejenigen, die sie am Rand des Gebildes befanden, hielten mit ihrer Hand das Seil. Man konnte sich nur langsam, beschwerlich bewegen. Wenn einer ausrutschte, verloren mehrere das Gleichgewicht.

Der Weg dauerte 30 Minuten und führte im unteren Teil durch ein morastiges Gebiet. Die Gummischuhe, die sie für die Arbeit bekamen, blieben im Schlamm hängen und wurden von den Füssen gezogen. Anzuhalten war nicht möglich. Der Verlust von Schuhen war im Winter eine Katastrophe. Erst später wurden die Gefangenen mit einem sogenannten Muklobus transportiert. Es handelte sich dabei um einen LKW Tatra 111 mit einem Stahlschrank auf der Ladefläche, der von außen abgeschlossen wurde.

Am Anfang mussten wir noch in unserer Pfarrerbekleidung zu den Schichten gehen. Sie nässten zwar nicht durch. Aber in den Stollen saugten sie sich von der Feuchtigkeit auf und bei Frost gefroren sie am Körper und erschwerten jeden einzelnen Schritt.

Kapuzinerkloster Mariasorg und rote Barbaren

Das Lager Mariasorg entstand neben dem erwähnten Kloster. Ende 1950 begann die Plünderung des Doms  Maria Himmelfahrt und des gesamten Klosters durch den roten uniformierten Mob. Die geschnitzten Bänke aus dem 18. Jh. wurden herausgerissen und verbrannt. Die leer gewordenen Räume dienten fortan als Verhörsäle. Später nutzten die Aufseher, es handelte sich um Angehörige des Staatsicherheitsdienstes, das Domschiff als Übungsschießplatz. Beliebteste Ziele waren Engelsstatuen, denen die Hände abgeschossen wurden. Nach der Vernichtung des Interieurs baute man die Kirche in eine Garage für Fahrzeuge des Innenministers um. 1951 erstellte man in den Räumen außerhalb der Kirche einen großen Hundezwinger mit 50 Boxen und etwa 300 m von der Strasse das neue Lager. Das alte Gefangenlager wurde aufgelöst.

Fluchtversuch

Mitte 1950 entstand der neue Schacht Adam. An der offenen Aushebung arbeitete eine Gruppe von Männern im Alter von 18 bis 21 Jahre. Am 5. September unternahm ein Teil der Gruppe einen Fluchtversuch. Sie überfielen die Wächter, entwaffneten sie und ließen sie gefesselt in die Grube ab. Sie nahmen ihnen die Uniformen ab, die der 21-jährige Jaroslav Janouch anzog und die vier Gefangenen mit eskortierte. Es waren Václav Tippel (20 Jahre), Daniel Štepán (20 Jahre), Jaroslav Kyselka (18 Jahre) und Miroslav Kronus (19 Jahre). Sie flüchteten auf der Strasser Richtung Merkelsgrün. Bei den Einwohnern weckte die Gruppe keinen Verdacht:

Die Flüchtlinge wollten in der Stadt ein Fluchtfahrzeug erbeuten. Die leicht gefesselten Aufseher konnten sich jedoch bald befreien und schlugen Alarm. Die Flüchtlinge erwischte man daher schon kurz nach Merkelsgrün in der Nähe von Lichtenstadt. Zwei der Gefangenen unternahmen einen erneuten Fluchtversuch. Auf der Straße blieben drei, Stepan wurde am Ort ermordet, Tippl rannte davon, kam aber nicht weit. Nach einigen Stunden wurde er erwischt und eingesperrt. Alle anderen wurden ebenfalls ins Lager zurück gebracht. Auch der tote Körper von Stepan mit zerschossenem Gesicht. Von vorne ins Gesicht – missgebildeter, rachgieriger Bolschewismus.

Stephans Körper wurden im Lager vom Laster abgeworfen und drei Stunden vor angetretenen Häftlingen liegengelassen. Machtdemonstration der Söldner des Roten Regimes. Was mit den anderen Flüchtlingen passierte war jedoch noch schlimmer. Im Lager begannen die Verhöre und es erfolgten weitere Verhaftungen von Lagerinsassen. Verhört und gefoltert wurden sie in den Kellern einer Villa unweit des Klosters. Die Gerichtsverhandlung fand in Joachimsthal statt. Vier Todesurteile – über Václav Tipple, Jirí Janouch, Jaroslav Kysela und Jirí Kodet. Miroslav Kronus und Oldrich Vogel erhielten Lebenslänglich. Weitere Verurteilte, die vom Fluchtversuch wussten und stillhielten: Vlastimil Vejmelek 25 Jahre A. Macek 20 Jahre.

Gnadengesuche der vier zum Tode verurteilten wurden vom Präsidenten Gottwald verworfen. Die Hinrichtung erfolgte am 21. Oktober 1950.

Der Gefangene mit gebrochenen Kiefer

Die Klosterzellen wurden zunächst als Gefängnisse für Angehörige des Staatsicherheitsdienstes SNB benutzt, die sich grober Verstöße schuldig gemacht haben. Denn durch das Überziehen einer Uniform wurden nicht aus ehemals Rechtlosen plötzlich vorbildliche Individuen.

Nach gewisser Zeit veränderte sich diese Zellen jedoch zu einem der brutalsten Gefängnisse in Tschechien. In den Zellen verhörte man, schlug mit den Gummiknüppeln, hängte die Gefangenen über Stunden und Tage an die Gitter. Teilweise waren sie so gefesselt, das sie kaum mit den Füssen den Boden erreichten. Einer der örtlichen Aufseher Voška (Anmerkung: er wohnte bis 2002 in einer Villa in der Nähe) erzählte wie er einen Verurteilten mit verbundenem Kinn abführte. Er hatte einen gebrochenen Unterkiefer.

Ein anderes Mal sah er einen Verurteilten in langen Stoffunterhosen, ohne Hemd. Er war an den Handgelenken am Gitter der Zellen gefesselt, die Beine gespreizt, barfuss und an jedem Fußgelenk an das Gitter gefesselt. Am Körper befanden sich lauter blaue Flecken.

Er schillerte in Farbe, blau, lila, gelb und schwarz, gekennzeichnet von Schlägen mit Gummiknüppeln. Auch Gefangene, die durch diese Räume zur Arbeit gingen, mussten durch einen Gang mit gehängten Kameraden, sahen Ohnmächtige, mit Blut durchsickerte Bekleidung. Darunter Lachen menschlicher Ausscheidungen. Die Verhörten waren meist Häftlinge, die man des Fluchtversuchs verdächtigte, verraten durch Mittelsmänner im Lager. Oft wurden auch andere Mithäftlinge gezwungen eine Aussage gegen den Beschuldigten abzugeben. Eine Aussage, die oft auch durch Folter zustande kam.

Erst nach 1954 als es in der Partei zu Machtkämpfen kam, Stalin fiel und Gottwald und andere desorientiert dastanden, kam es zu Veränderungen. Die Verhörmethoden ließen an Schärfe und Gewalt nach. Auch das neue Lager veränderte sein Gesicht. In jeder Baracke gab es inzwischen einen Waschraum und Toiletten. Die Wände waren gemauert, die Gänge wurden im Winter beheizt. Etwas später erhielten alle ordentliche Arbeitsbekleidung. Im Lager lebten zu der Zeit 8000 Zwangsarbeiter. Zu Beginn der 60er Jahre wurde klar, dass der Uranabbau eingestellt wird. Das Rauben hörte jedoch nicht auf. Noch gab es die Schächte in Pibrans, Iglau und Böhmisch Leipa. Im März 1960 drangen Nachrichten durch, dass es bald zu einer Amnestie kommt. Die Tore öffneten sich dann am 9. Mai 1960, jedoch nicht für alle politischen Gefangene. Ein Teil musste noch das Lager abreißen, danach das Kloster mit beiden Kirchen. Und damit ein Zeugnis der brachialen Gewalt.

Bis zum Ersten Weltkrieg lag in St. Joachimsthal die einzige bekannte Lagerstätte von Uran. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Vorkommen für die entstehende sowjetische Atomindustrie massiv abgebaut. Viele missliebige politische Häftlinge des kommunistischen Regimes der Tschechoslowakei landeten als Zwangsarbeiter in den Uranminen. Viele von ihnen starben nach kurzer Zeit. Die durchschnittliche Lebenserwartung in Jáchymov lag bei 42 Jahren. Seit 1964 wird kein Uran mehr abgebaut.